Rezension: Photosynthese und wie ich lernte die Bäume zu lieben

Ein Spiel über Bäume? Das sollte doch im Land der Dichter und Baumliebhaber gut ankommen. Auf der Spiel im letzten Jahr war Photosynthese in der englischen Version auf jeden Fall heiß begehrt und endlich ist auch die deutsche Version verfügbar. Dabei bricht das Spiel durchaus mit Traditionen bzw. einem fast schon ehernen Gesetz des Spieldesigns. Gemeint ist das völlige Fehlen eines Glückseinflusses. Es gibt also weder Würfel, noch Karten – einfach nur den Kampf Gehirn gegen Gehirn. Was man ansonsten eher von Schach oder vielleicht noch der bekannten 2-Spieler-Reihe Gipf-Projekt kennt, findet sich hier in einem Spiel für bis zu vier Spieler wieder.

Bäumchen wechsle dich

In Photosynthese buhlen die Spieler um freie Plätze für ihre Bäume und besonders um das Licht der Sonne, die während des Spieles dreimal um das sechseckige Spielfeld kreist. Die Spieler säen Samen, lassen daraus kleine Bäume entstehen, lassen diese in zwei Stufen wachsen und fällen sie abschließend, um die begehrten Siegpunktplättchen zu ergattern. Um all dies zu erledigen, müssen die Spieler allerdings zuvor Sonnenpunkte gesammelt haben, die dann für die verschiedenen Aktionen ausgegeben werden. Diese erhält man allerdings nur, wenn die eigenen Bäume nicht im Schatten gleich großer oder größerer Bäume stehen. Entscheidend ist hierfür neben der Größe der betroffenen Bäume auch der Sonnenstand, der sich jede Runde ändert. Selbst ohne Zutun der Mitspieler wandelt sich die Situation stetig und die Spieler müssen vorausschauend agieren, um in den folgenden Runden nicht mit zu wenigen Sonnenpunkten handlungsunfähig dazustehen.

Nichts für Schattenparker

Zentrales Element des Spiels ist also das Spiel mit Licht und erst recht Schatten. Je nach Größe eines Baumes beschattet dieser zwischen ein bis drei Felder. Größere Bäume dahinter interessiert das nicht und sie holen die begehrten Sonnenpunkte. Kleinere oder gleich große Bäume innerhalb dieses Bereiches hingegen sind dank des Schattens für diese Runde aus dem Rennen, werfen aber dennoch auf dahinterliegende Bäume einen Schatten. Geometrisch ergibt das zwar keinen Sinn, kann aber zu heftigen Kettenreaktionen führen, in Folge derer dann in einer langen Reihe nur ein Baum das begehrte Sonnenlicht tanken kann.

Mein Freund der Baum ist tot

Das Makabre an Photosynthese ist, dass die Spieler nur durch das Entfernen von Bäumen punkten können. Das vorherige Einpflanzen und dreistufige Wachsenlassen ist also nur das Vorspiel für den abschließenden Akt. Mit Sicherheit macht man sich in der Spielrunde viele Freunde, wenn man bei jedem Abholzen kurz Alexandras Lied „Mein Freund der Baum (ist tot)“ aus dem Jahr 1968 anstimmt. Überhaupt lädt die thematische Dichte des Spiels zu allerlei Baumwitzen ein. Zu Beginn des Spiels ist man vom „Ernten“ der Bäume und damit Siegpunkten aber weit entfernt. Vielmehr geht es darum, erst einmal möglichst viele Bäume auf den Plan zu bringen und schattige Plätze zu meiden. Erst im Mittelspiel wird man seinen ersten Baum opfern wollen und damit natürlich auch die potenziellen Sonnenpunkte, die dieser Baum in der Folgezeit noch hätte bringen können. Zum Schluss hingegen geht es im Optimalfall allen Bäumen ans Leder. Schließlich hat jeder nicht gefällte Baum im Laufe des Spiels zahlreiche Sonnenpunkte gekostet, die man anders besser hätte einsetzen können. Ein bisschen „Cash Flow Planung“ kann nicht schaden. Zum Glück kann man Photosynthese auch ohne abgeschlossenes BWL-Studium spielen und gewinnen.

Augenweide statt Trauerweide

Einer der Gründe für den Erfolg in Essen war sicherlich die Optik. Denn neben dem vorzüglichen Verpackungsdesign glänzt Photosynthese auch besonders mit einem ansprechenden Spielplan und vielen kleinen bis großen Pappbäumen in 3D. Das sieht beeindruckend aus und zieht die Augen von eventuellen Passanten magisch an. Sicherlich hätte sich das Spiel auch ohne diese aufwändigen Bäume spielen lassen, aber bekanntlich spielt das Auge mit.

Wo Licht ist, ist auch Schatten

Leider spenden bei Photosynthese nicht nur die Bäume Schatten sondern auch das Spiel selbst hat einige Schattenseiten. Am störendsten ist der unsinnige Rundenablauf. Der sieht wie folgt aus: Am Anfang (fast) jeder Runde bewegt sich die Sonne um einen Schritt um den Spielplan herum. Anschließend erhält jeder Spieler Sonnenpunkte anhand des neuen Sonnenstandes und dann machen die Spieler ihre Aktionen. Klingt erstmal gar nicht schlecht? Ist es aber leider. Denn während der Aktionen der Spieler steht die Sonne immer noch auf ihrer alten Position und wird erst für die Wertung weitergedreht. Ergo müssen die Spieler bei allen Überlegungen mit einem Sonnenstand rechnen, der aktuell nicht angezeigt wird. Dese unsinnige Komplikation macht den Spielern das Leben schlicht unnötig kompliziert. Würde sich erst die Sonne weiterbewegen, dann agiert und dann gewertet, wäre vielen Spielern der ein oder andere Knoten in den Gedankenwindungen erspart geblieben. Wer denkt schon gerne stets um 60° um die Ecke?

Weniger dramatisch ist, dass sich Photosynthese zwar vorzüglich zu zweit und zu dritt spielt, der Start zu viert aber etwas holprig ist. In der ersten Runde dürfen alle Spieler reihum zwei Bäume am Rand des Spielfeldes platzieren. Man muss wahrlich nicht Euklid heißen, um zu erkennen, dass die sechs Eckpositionen des Spielfeldes am sonnenreichsten sind, da sie an drei Seiten an den Rand grenzen und die Sonne aus diesen Richtungen ungehindert Labsal in Form von wohlschmeckenden Photonen spenden kann. Bei zwei und drei Spielern und jeweils zwei Bäumen pro Spielern geht die Rechnung wunderbar auf. Bei vier Spielern gucken die beiden letzten Spieler mit jeweils einem Baum quasi in die Röhre und müssen sich für weniger aussichtsreiche Plätze entscheiden. Gleichzeitig schaden sie auch noch dem Spieler, neben dem sie sich gezwungenermaßen platzieren. Denn zwei benachbarte Bäume nehmen sich je nach Sonnenstand mal in die ein und mal in die andere Richtung das Licht. Wohl also dem, der das Glück hat, zu Beginn zwei unbedrängte Eckpositionen für sich zu haben.

Wie war das noch mit dem Licht?

Trotz der Kritik gibt es aber auch viel Licht. Die ansprechende Optik und Haptik veredelt ein abstraktes Denkspiel. Dass die Thematik ebenso passend wie gut umgesetzt wird, verschleiert den abstrakten Charakter des Spiels. Deutschland ist nicht nur das Land der Baumliebhaber sondern auch das Land der Brettspiele, die das Thema häufig erst als allerletztes aufgepfropft bekommen. So gut deutsche Spielmechaniken sind, so sehr lässt sich das Thema häufig austauschen. Das ist bei Photosynthese anders und das ist gut so. Der italienische Autor Hjalmar Hach hatte offensichtlich erst die Idee eines Spieles über Bäume und Sonneneinstrahlung und hat dann die passende Spielmechanik dazu entworfen. Das ergibt ein stimmiges Gesamtbild.

Familienspiel oder Strategiespiel?

Asmodee vermarktet Photosynthese als Familienspiel. Die kurze und knackige vierseitige Anleitung verleitet dazu und erlaubt auch Kindern einen schnellen Einstieg in das Spiel. Der fehlende Glückseinfluss hingegen verzeiht keine „kindlichen“ Fehler. Mit genug Sechsen gewinnt in Mensch ärgere dich nicht, jedes Kind. Das gleiche Kind wird den Würfel hier womöglich vermissen. Wer auf das Glückselement verzichten kann und nur zu zweit oder dritt spielt, kann mit Photosynthese nichts falsch machen. Für zusätzliche Abwechslung sorgen zwei Expertenvarianten, die Einzug in die Anleitung gefunden haben. In der einen Variante umringt die Sonne viermal das Spielfeld (man spielt also 24 Runden) und in der anderen dürfen Samen nur dann gepflanzt werden, wenn der „spendende“ Baum und das Zielfeld nicht im Schatten sind. Eine Besonderheit ist, dass Photosynthese hoch interaktiv ist und man nie den Eindruck gewinnt, gleichzeitig ein Solospiel zu spielen. Zu zweit ist das Spiel sehr strategisch und nicht zuletzt ist das Leid des Mitspielers die eigene Freud. Zu dritt und viert ist das Ringen um die Sonnenstrahlen deutlich familientauglicher, da man weniger gegen einen speziellen Spieler agiert sondern die eigene Baumpopulation hegt, pflegt und letztlich fällt.